Literatur im Dialog

Kroatische Kulturgemeinschaft e.V. Wiesbaden

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RIJEČ

Ivanka Pernovšek

Die Muttersprache gehört in die Klassenzimmer
Die Muttersprache der Kinder spielt an deutschen Schulen kaum eine Rolle. Das widerspricht den Erkenntnissen der Sprachforschung, die verknappt lauten: Die eigene Muttersprache zu beherrschen, ist essenziell für das Erlernen jeder weiteren Sprache. Die Forschung spricht von einer Referenzsprache, die in puncto Grammatik und Begriffsbildung das Grundgerüst im Hirn stellt, das sich auf weitere Sprachen anwenden lässt.[1]

 

 WAS IST INTEGRATION? WAS IST MIGRATION?

Aus der Sicht eines in Deutschland geborenen und aufgewachsenen Kindes nicht-deutscher Eltern

Ich habe keinen blassen Schimmer. Als mich mein deutscher Ehemann vor ein paar Jahren fragte: „ Wie stehst du eigentlich zu der ganzen Migrationsdebatte?“ - Da habe ich ihn ratlos angesehen und gefragt: „Was meinst du denn?“ Er: „Du hast doch selbst Migrationhintergrund.

Da musste ich erst einmal länger nachdenken, denn so hatte ich mich noch nie gesehen. Bis zu dem Tag an dem mein Mann mich fragte, hatte ich mich nie als „mit Migrationshintergrund“ gesehen.

Meine Eltern waren „Ausländer“ (so hieß das in meiner Kindheit! - heute wäre das wahrscheinlich nicht politisch korrekt) aber ich sah mich nie so, ich war „immer nur ich“. Ich bin 48 Jahre alt, im Schwarzwald geboren und habe dort in einem kleinen Dorf bis zu meinem 20. Lebensjahr gewohnt. Mein Vater ist Slowene, meine verstorbene Mutter war Kroatin. Mit 5 Jahren kam ich in den Kindergarten und konnte kein Wort Deutsch. Warum erst mit 5 Jahren? Ich glaube meine Eltern kannten so was wie Kindergarten einfach nicht. Meine Mutter ist auf einem abgelegenen Dorf im Hinterland von Split geboren und aufgewachsen und durfte nur bis zur 7. Klasse die Schule besuchen. Danach musste sie auf  ihre jüngeren Geschwister aufpassen. Das hat sie mit viel Liebe und Hingabe getan, aber sie hat auch immer erzählt dass sie sehr gerne weiter zur Schule gegangen wäre.

Meine jüngeren Geschwister hatten es schon besser, sie  kamen mit 3 Jahren in den Kindergarten. Deutsch sprechen habe ich dann wahrscheinlich recht schnell im Kindergarten gelernt. Ich war und bin ein offener und kontaktfreudiger und sehr lebhafter Mensch, daher fiel es mir leicht Anschluss zu finden. Mit 6 Jahren kam ich in die Schule und ich kam dort überhaupt nicht zurecht. Meine heile Spiel-Welt brach zusammen. Ich habe nicht kapiert was die Schule von mir will: Still sitzen, nicht bewegen - das war gegen meine Natur. Irgendwann habe ich dann verstanden dass man Hausaufgaben machen muss. Das habe ich dann auch brav gemacht, dachte ich zumindest. An ein Ereignis kann ich mich noch sehr gut erinnern: Ich  habe ganz viele bunte Farben benutzt und nicht das monotone Grau des Bleistifts. Ich wollte es schön und bunt machen und war ganz stolz und war mir auch ganz sicher, dass meine Lehrerin sich freut und mich für die Farben lobt und die Mühe anerkennt (das ständige Wechseln mit den Farben hat gedauert!). Nichts dergleichen - ein Donnerwetter gab´s, gut ich hab´s auf die harte Tour gelernt „mit Bleistift musste es sein.“

Meine Mutter war zu Hause und versorgte uns Kinder, aber mit der Schule konnte sie uns nicht helfen, da sie selbst kaum Deutsch sprach. Mein Vater war bei der Arbeit und kam erst spät nach Hause.

Da sind unsere Nachbarn von gegenüber eingesprungen. Deren Kinder waren zwischen 10 und 15 Jahren älter als ich. Ich musste deren Kinderbücher lesen, „Hanni und Nanni“ zum Beispiel - dann wurde ich über den Inhalt ausgefragt. Die haben mich wirklich ausgequetscht, ich musste die Bücher also gründlich lesen und verstehen. Schummeln, keine Chance! Und irgendwann einmal hat mir das Lesen plötzlich ganz viel Spaß gemacht! Die moderne Version davon ist Lesen mit  „Antolin“ und online Punkte sammeln.

Auch wenn ich mich nie als Ausländer gefühlt habe, so bin ich das wohl gewesen. Meine Nachbarin Hilde Armbruster - wir vier Kinder nannten sie von klein an „Tante“ - hat organisiert, dass ich Nachhilfe von meiner Klassenbesten Mitschülerin bekam. Und so habe ich mit Ach und Krach die erste Klasse geschafft. Danach ging es langsam bergauf! Für meine Geschwister lief es dann deutlich leichter. Das Prinzip „Bücher lesen“ wollte man auch mit meinen zwei jüngeren Brüdern abziehen, aber das funktionierte gar nicht - die totalen Lesemuffes, aber geschadet hat es ihnen auch nicht. Ich jedenfalls wäre heute nicht wo ich bin! Danke Tante!

Heute kenne ich viele Kroaten und lerne besonders in letzter Zeit viele kennen, die vor ca. 3 Jahren nach Deutschland gekommen sind und Kinder im Alter meines Sohnes haben, etwa 7 Jahre alt. Ich höre öfter: “Ich spreche Kroatisch mit meinem Kind und mein Kind antwortet immer nur auf Deutsch.“ Ich lache dann und sage: „Ja so war das auch bei mir, als ich erst einmal" Deutsch konnte habe ich meiner Mutter auch meist auf Deutsch geantwortet. Deutsch war für mich „normal“ geworden. Was ist denn jetzt meine Muttersprache? Kroatisch oder Deutsch? Können es nicht beide Sprachen sein? Mittlerweile sprach ich besser Deutsch als Kroatisch. In der Schule, mit den Freunden, alles außer in der Familie lief auf Deutsch. Meine Mutter hat das akzeptiert, nur mit meinem Vater hat das nicht so gut geklappt. 

Als ich dann erwachsen war, hat meine Mutter 50:50 Deutsch und Kroatisch mit uns gesprochen. Meine Mutter hatte ein Deutsch/Kroatisches Wörterbuch im Nachttisch liegen, mit dem hat sie Deutsch gelernt und dann auch durch uns Kinder. Mein Vater konnte von seinem „Schuldeutsch“ zehren, meine Mutter sprach teilweise den schwäbischen Dialekt, den man im Dorf so hörte. So cool!

Heute ist mein Sohn 7 Jahre alt und die Geschichte wiederholt sich mit verkehrten Vorzeichen.

Auf die Frage: „Was möchtest du deinen Eltern beibringen?“ antwortet er: „Kroatisch.“

enn die Eltern mit ihrem Kind Kroatisch sprechen und das Kind antwortet auf Deutsch, sehe ich das nicht als Problem, sondern als ein Zeichen von gelungener Integration. Das Kind versteht seine Eltern. Das Kind ist in dem Land in dem es im „Hier und Jetzt“ lebt angekommen. Das ist gelungene Integration!

Für mich sind Sprachen und Kulturen ein Geschenk das mir in die Wiege gelegt wurde.  Es ist ein Reichtum an Schätzen, Erfahrungen, Gefühlen, verschiedenen Lösungsmöglichkeiten und Herangehensweisen, die mein Leben bereichern. Als Kind fand ich es nervig mit den vielen Sprachen. Heute bin ich froh -  es ist doch einiges hängen geblieben - eine solide Basis auf der man weiter aufbauen kann.

Ivanka Pernovšek