Literatur im Dialog

Kroatische Kulturgemeinschaft e.V. Wiesbaden

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RIJEČ

Ivo Andrić


Nicht der größte Dummkopf ist derjenige, der nicht lesen kann, sondern derjenige,
der denkt, dass alles, was er liest, wahr ist.

Ivo Andrić

 

IVO ANDRIĆ - EIN EUROPÄISCHES LEBEN
Michael Martens komponierte die Geschichte des bosnischen Nobelpreisträgers Ivo Andrić neu[1]

 

Ivo Andrić (* 9. Oktober 1892 in Dolac bei Travnik; † 13. März 1975 in Belgrad) war ein jugoslawischer Schriftsteller, Diplomat, Politiker und Literaturnobelpreisträger. Als Ivo Andrić im Jahr 1961 den Literatur-Nobelpreis erhielt für die epische Kraft, mit der er Motive und Schicksale aus der Geschichte seines Landes gestaltete, soll Staatschef Marschall Tito getobt haben, denn Andrić war Bosnier, und Tito hätte lieber seinen kroatischen Landsmann Miroslav Krleža ausgezeichnet gesehen.

Ivo Andrić wurde mit seiner Višegrad- Trilogie (Die Brücke über die Drina, Das Fräulein, Wesire und Konsuln) weltberühmt. Dennoch saß der Autor zu Hause zwischen allen Volkstumsstühlen, wobei er es sich besonders mit den Bosniern durch die schonungslose Darstellung ihrer Sitten und Gebräuche gründlich verdarb. Aus einer katholischen Familie stammend hätte man von ihm erwartet, er würde sich zur kroatischen Nation bekennen. Seine jugoslawische Orientierung blieb als Makel an ihm hängen. Seine politische Haltung drückte sich in seinen Werken aus: Er war ein Anhänger des jugoslawischen multiethnischen Staatsgedankens, stellte aber andererseits gerade die Problematik des Zusammenlebens verschiedener Kulturen dar. Auch nach dem Zweiten Weltkrieg stellte er sich in den Dienst des – jetzt sozialistischen – jugoslawischen Staates. Dreißig Jahre nach dem Zerfall Jugoslawiens hätte jede der beansprucht ehemaligen Teilrepubliken Bosnien, Serbien und Kroatien Ivo Andrić gern für sich. Die einen sehen ihn als serbischen Schriftsteller, die anderen als Kroaten und nicht wenige würden ihn am liebsten verbieten. In Bosnien wurde Andrić zu einem islamophoben Dämon aufgebaut, meint Ivan Lovrenović, bosnisch-kroatischer Schriftsteller aus Sarajevo:  Andrić wurde nach dem Zerfall Jugoslawiens zum Opfer und Mittel der neuen nationalen Identitätsbildung auf allen Seiten. Aber das traurigste Kapitel spielte sich in Bosnien ab.

Michael Martens aus dem Zsolnay-Verlag/Wien hat die Biografie des Schriftstellers erforscht und in brillant bohrender journalistischer Prosa dargestellt. Eine Darmstädter Jury hat die Neuerscheinung zum Buch des Monats September 2019 gewählt. Jurymitglied Gerhard Stadelmaier, schreibt zur Begründung: Er war der Botschafter des Königreichs Jugoslawien in Hitlers Berlin bis 1942, versuchte den Angriff Deutschlands auf sein Heimatland zu verhindern, blieb danach drei Jahre im selbstgewählten Belgrader Hausarrest und schrieb dort seine drei großen Bücher. Nach dem Krieg war er ein kultureller Repräsentant des kommunistischen Jugoslawiens - und blieb im „Brand der Welten. Andrić ist sich selbst und der Welt ein Rätsel geblieben. Eine Gestalt, für niemanden recht fassbar außer für den Biografen, der sie im Panorama aller machthistorischen und literaturpolitischen Hintergründe balkanesischer Würfe und Verwerfungen plastisch werden lässt. Martens schrieb keine Apologetik, er wollte für Andrić kein Denkmal errichten, aber ihn vom Sockel stoßen wollte er auch nicht.

Eine Buchvorstellung findet am Mittwoch den 12. Februar 2020. in Wiesbaden, Holsteinstraße 15A, um 19:00 Uhr statt. Jela Šare, Kroatisch-Lehrerin beim Volksbildungswerk Wiesbaden und Mr. Sc. Ljilja Tadić stellen das Buch vor. Dazu lädt die Kroatische Kulturgemeinschaft e.V. herzlich ein.

Ivica Košak



[1] Michael Martens: Im Brand der Welten, Ivo Andric - Ein europäisches Leben. Biografie. Zsolnay- Verlag in Wien, 496 Seiten, 28 Euro.