LEILA,

Ein bosnisches Mädchen[1]


Bosnienkrieg und keiner schaut hin. Umfragen belegten, dass die Fernsehzuschauer, die an die Gewalt und die Exzesse durchaus gewohnt sind, den Kanal wechselten sobald das Stichwort Bosnien angesagt würde. Es warDer Krieg und keiner schaute zu. Doch, eine der Wwenigen, unbeteiligten die sich demr Votum nicht- hin-zu-schauen entgegen stellte ist Alexandra Cavelius[2]. Und sie meldete sich zum Wort, ihre Erzählung schildert denas Albtraum des bosnischens Mädchens Leila. Leila erzählt von ihrer Kindheit in Ich-form mit einem gewalttätigen und alkoholkranken Vater, von dem Leben auf dem Land und ihrem Umzug nach Krajina. Eigentlich wollte sie studieren, hatte Träume und Pläne. Dann bricht der Krieg aus. Leilia wurde aus dem eigenen Familienkreis verraten, denunziert. Sie wird quer durch Bosnien von einem Lager ins nächste geschleppt wird. Die Vergewaltigungen, den Tod zu sehen und psychische sowie physische Qualen stehen an der Tagesordnung.

Parallel zu der Erzählung Leilas Erzählung begleiten die Tagebucheinträge ihrer Mutter, wie ein Schrittmacher der Geschichte, begleider Geschichte, wie eine Nachrichtenzäsurten die Tagebucheinträge ihre Mutter das Geschehn des Krieges wie eine Nachrichtenzäsur.

Bitter wie das ganze Buch ist also auch sein Ende. Auch nach dem Krieg ist das Leiden nicht beendet. Bosnien liegt in Schutt und Asche und Leila ist immer noch nicht frei. und sSie kKämpft weiter für ihre Freiheit. Auch wenn Jahre vergangen sind nach dem , dass die Balkankriege zu Ende gingen, die Traumata des Krieges dauern angehen weiter. Dieas Leiden für denas geschundenem Körper und die zerstörter Seele finden kein Ende. Wie Hunderttausende anderer Menschen, auch sieLeila steht vor den Trümmern ihrer materiellen und seelischen Existenz, nur noch getrieben von dem Wunsch, dass die Massenverbrecher auf allen Seiten ihre gerechte Strafe erhalten. Doch als sie gegen ihrer namentlich bekannten Vergewaltiger vor der Kommission des Kriegsverbrechertribunals in Den Haag aussagt, wird sie, das wird im Nachwort berichtet, von Unbekannten in der Nacht überfallen und zusammengeschlagen.


Es ist das authentische Zeugnis eines Mädchens, das lernen muss, mit einem Leid zu leben, das tTausende Frauen in traumatisiert hat. Leilas Geschichte ist eine von vielen, wWie viele Menschen gestorben sind, wie viele gefoltert und bestialisch ermordet wurden, wie viele Frauen den planmäßig eingesetzten Masssenesvergewaltigungen zum Opfer fielen, wird man wahrscheinlich niemals klären können. Und trotz vielen nüchternen, sowohl politischen undwie auch historischen Analysen[3] über die Hintergründe dieser Katastrophen in der Krajina, in Bosnien und im Kosovo, was damals wirklich geschehen ist, bleibt unverständlich.


Schwer zu durchschauende Machtkämpfe, tiefe Gräben zwischen Gewinnern und Verlierern, Opfern und Tätern, Schurken und Helfern. Dem dramatischen Jahrzehnt im SSüdosten Europas ist nur beizukommen mit den Sprachfähigkeiten eines Schriftstellers. Nur die mit den Mitteln eines Romans gestaltete Fiktion hilft leistet es zum wirklichen Verständnis der Ungeheuerlichkeiten der Balkankriege und das weit mehr als eine Sachbuücherbibliothek.

In simpler, und bisweilen kindlichen,r Sprache berichtet Alexandra Cavelius von Leila und ihrem Leiden. Selbstverständlich sind Leilas Erfahrungen schockierend und schrecklich. „…Die unbeschreibliche Art und Weise wie simple Wörter und Sprache genutzt werden, um die weiblichen Emotionen in diesen Situationen zu beschreiben, ist sehr fesselnd. Auch wenn der Eindruck von Gefühllosigkeit und Nüchternheit dominierend ist, ist dies wohl nur ein Ausdruck von emotionaler Taubheit. Denn es muss ohne Zweifel sehr schwierig sein, überhaupt ansatzweise zu beschreiben, was da geschehen ist, und es ist wohl noch schwieriger Worte dafür zu finden, wenn es einem selbst widerfahren ist. Es mangelt schon an Worten, wenn ich als Leserin beschreiben muss, welche Gefühle diese Geschichte in mir weckt, denn man fühlt sich nach dem Lesen dieses Buches selbst erschreckend kalt und abgestumpft.

Leila – ein bosnisches Mädchen“ ist definitiv kein Buch für zZwischendurch. Ebenso wird es nicht leicht sein, das Gelesene schnell zu verarbeiten oder zu vergessen, und es wird seine Zeit dauern, sich davon regelrecht zu erholen. Dennoch sollte man immer daran denken, dass diese Frau all das wirklich erlebt hat und auch irgendwie damit weiterleben musste und muss. Diese Geschichte entspricht einem Albtraum und ist doch unbedingt lesenswert, da sie fesselnd, unbeschreiblich, schmerzhaft und einfach wahr ist. Es ist die Geschichte eines um ihre Jugend betrogenen Mädchens, das einen Krieg und Vergewaltigungslager überlebt, in denen es sogar von den „eigenen Soldaten“ vergewaltigt wird. Letzteres zeigt, ebenso wie die Tatsache, dass diese Geschichte kein Einzelfall ist, dass der „Balkan“ wohl dort beginnt wo jede Logik endet….“, wie Schreibt Ivona Golemac[4] schreibt.

Leila schreitet von Zeitzeigen zum Zeit-Bild, dessen, was wie ein „Erinnerungsbild“ mit Rückblenden und, Überblendungen arbeitet, um die Virtualität oder Irrealität des Gezeigten zu markieren. In diesem Kristallbild treten Aktuelles und Virtuelles nebeneinander, das Vergangene und das Imaginierte überlagerernt das gegenwärtige Trauma. Insbesondere die in das Bild der bosnischen Mädchen eingelagerten Unschuld bekommt hier durchweg Bedeutungen verloren gegangenen historischen Welt des unerfüllbaren Sehnsucht. Leilas Figur wirkt als gebrochene Gestalt zwischen den Zeiten konstituiert – aber konfrontiert mit einer Realität, die mit der subjektiven Realität der Wünschen nicht mehr übereinstimmt. Die virtuellen Elemente der in der Sprache kondensierten Erinnerungen sind objektiv als Leistungen der Bildgestaltung der in sich auf „innerliche“ Vorgänge zwischen den Figuren und auf konzeptionelle Gedanken konzentriert, und die oft nicht direkt sichtbar sind. Leilas Geschichte bezeichnet daher die Einrichtung der unmittelbar sichtbaren Dinge und Vorgängen mit dem stärkeren Gewicht auf „Äußerlichkeiten“ als Indikation für eine besonderen subjektiven Verfasstheit der Handelnden. Desillusionierung – die Einsicht in die Unvereinbarkeit des Realen und des Virtuellen individueller Existenz – ist darum auch eines der zentralen narrativen Techniken der Vergangenheits- oder aber auch Krisenbewältigung.

Ivica Košak


[1] Andrea Cavelius, geboren 1967, ist seit vielen Jahren als freie Journalistin und Sachbuchautorin tätig. Sie publiziert Reportagen in renommierten Zeitschriften wie "Brigitte", "Stern", "Spiegel reporter" und "SZ-Magazin" und hat bereits zahlreiche Bücher veröffentlicht, u. a. den Bestseller "Leila - ein bosnisches Mädchen".: Leila – Ein bosnisches Mädchen, Ullstein (2001) ISBN: 3548362826

[2] Alexandra Cavelius bringt auch im dem SammelErzählungsband: Die Himmelsstürmerin dasie mitreißende Schicksal von Rebiya Kadeer, Chinas bekanntesten Menschenrechtlerin, die einst die reichste Frau im Reich der Mitte war. Doch als sie begann, ihre politische Macht zu nutzen und sich für die Rechte ihres uigurischen Volksstammes, einer muslimischen Minderheit in China, einzusetzen, wurde sie zur meistgehassten Frau des Regimes: Fünf Jahre saß sie im Gefängnis und wurde Zeugin von Folter, Vergewaltigungen und Hinrichtungen. Unermüdlich setzt sich Rebiya Kadeer für die Rechte ihrer Landsleute ein, die im Nordwesten Chinas von Peking friedlich ihre religiösen, kulturellen und wirtschaftlichen Grundrechte einfordern. Doch das Regime kennt kein Erbarmen: Gegner werden gnadenlos verfolgt, gefoltert, getötet. Nachdem sich Menschenrechtsorganisationen aus der ganzen Welt für ihre Freilassung aus dem Gefängnis eingesetzt haben, lebt Rebiya Kadeer seit 2005 mit ihrem Mann in den USA. Fünf ihrer elf Kinder sind jedoch noch in China und werden als politisches Pfand für jede noch so kleine Äußerung ihrer Mutter bestraft.

[3] Cf. Timothy Garton Ashs: Zeit der Freiheit, Aus den Zentren von Mitteleuropa, Hanser Verlag 1999.

[4] Ivona Golemac. Leila in RIJEČ (Das Wort) Nr. 42 – Mitteilungsblatt der Kroatischen Kulturgemeinschaft, Wiesbaden 2012.