Liao Yiwu

Der Stiftungsrat des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels hat den chinesischen Schriftsteller Liao Yiwu zum diesjährigen Träger des Friedenspreises gewählt. Die Verleihung findet während der Frankfurter Buchmesse am Sonntag, 14. Oktober 2012, in der Paulskirche statt.

Den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels verleiht der Börsenverein im Jahr 2012 an Liao Yiwu und ehrt damit den chinesischen Schriftsteller, der sprachmächtig und unerschrocken gegen die politische Unterdrückung aufbegehrt und den Entrechteten seines Landes eine weithin hörbare Stimme verleiht. Liao Yiwu setzt in seinen Büchern und Gedichten den Menschen am Rand der chinesischen Gesellschaft ein aufrüttelndes literarisches Denkmal. Der Autor, der am eigenen Leib erfahren hat, was Gefängnis, Folter und Repression bedeuten, legt als unbeirrbarer Chronist und Beobachter Zeugnis ab für die Verstoßenen des modernen China.

Das Manuskript seines Werks „Für ein Lied und hundert Lieder“, in dem er von der Entmenschlichung durch rohe Gewalt in chinesischen Gefängnissen erzählt, wurde mehrfach von den Behörden beschlagnahmt; er hat es immer wieder neu geschrieben und konnte es schließlich im Exil veröffentlichen. Als Volksschriftsteller im umfassenden Sinn steht er ein für Menschenwürde, Freiheit und Demokratie.

Die Begegnungen mit den Menschen, die er als Straßenmusiker und Gelegenheitsarbeiter kennengelernt hat, versammelt Liao Yiwu 1998 in Form von 60 Interviews. In bereinigter Form erscheinen diese 2001 bei einem chinesischen Verlag unter dem Titel „Interviews mit Menschen vom unteren Rand der Gesellschaft“. 2009 wird dieses „Panoptikum an Lebensläufen, die eigentliche Kulturgeschichte Chinas von Mao bis zum heutigen Tag“ (Herta Müller), in Deutschland ungekürzt veröffentlicht („Fräulein Hallo und der Bauernkaiser: Chinas Gesellschaft von unten“). Seine Gespräche mit einem Mörder, Totenliedersänger, Dieb, Klomann, Menschenhändler, Wahrsager, Homosexuellen, Bettler, Lehrer, Dissidenten, früheren Landadligen, Zuhälter, Feng-Shui-Meister und vielen anderen Menschen aus den unteren Gesellschaftsschichten zeichnen die Wirklichkeit der Gegenwart Chinas nach. Das Buch wird somit zu einem Porträt des Landes jenseits der offiziellen Darstellungen.

Die „bereinigte“ chinesische Version des Buches wird von den Kritikern hoch gelobt und verkauft sich gut, bis die chinesischen Behörden den Verkauf untersagen, den Verlag bestrafen und für die Entlassung von Mitarbeitern einer chinesischen Zeitung sorgen, die ein Interview mit Liao Yiwu geführt haben. Fortan darf sein Name in den Medien nicht mehr genannt werden. 2002 gelingt es, das Buch nach Taiwan zu schmuggeln, wo es ein Jahr später in drei Bänden veröffentlicht wird. Auszüge daraus erscheinen auch auf Englisch und Französisch. Liao Yiwu erhält 2003 mit dem Hellman-Hammet-Grant eine Förderung der Organisation Human Rights Watch. 2007 wird er mit dem Freedom To Write Award des Unabhängigen Chinesischen PEN-Zentrums ausgezeichnet. Die Verleihung wird aber verhindert. 2008 erscheinen 27 der Gespräche in den USA mit dem Titel „The Corpse Walker – Real Life Stories: China From the Bottom Up“. Für die polnische Ausgabe des Buches erhält er 2012 den Ryszard-Kapuscinski-Preis.

Um das Leben von Liao Yiwu nicht in Gefahr zu bringen, hält sein deutscher Verlag die Veröffentlichung seines Buches „Für ein Lied und hundert Lieder“, wofür dem Autor durch chinesischen Behörden eine erneute Gefängnisstrafe angedroht wird, bis zu seiner Flucht zurück. Es ist die Übersetzung der dritten Version seiner Erinnerungen an die vierjährige Gefängniszeit von 1990 bis 1994. Immer wieder hat er sie von vorn beginnen müssen, weil die von ihm verfassten Manuskripte 1995 und 1997 bei Hausdurchsuchungen beschlagnahmt wurden. Dem Leidensweg durch die chinesischen Gefängnisse und Arbeitslager stellt Liao Yiwu die Wucht seines Gedichtes „Massaker“, dem Grund seiner Inhaftierung, voran. Das Buch, das im November 2011 mit dem Geschwister-Scholl-Preis ausgezeichnet wird, wird dadurch zu einem „politischen Zeugnis erster Güte“ (Neue Zürcher Zeitung), mit dem Liao Yiwu den Menschen, die das politische System zum Schweigen bringen will, eine Stimme gibt. Im gleichen Jahr erscheint in Deutschland eine Sammlung zum Teil noch nicht veröffentlichter Gedichte unter dem Titel „Massaker: Frühe Gedichte“.

Quelle: http://www.friedenspreis-des-deutschen-buchhandels.de/445722/?aid=538090

Ivica Košak