Wenn in der Seele Krieg herrscht

18.12.2012 - IDSTEIN

Von Marion Diefenbach

FRIEDENSBÜNDNIS Traumatherapeutin zur Belastung von Soldaten und Grenzen der Prävention

„Was tun wir jungen Leuten an, die wir in den Krieg schicken?“ eröffnete Dr. Helga Weidemann vom Idsteiner Friedensbündnis die Veranstaltung im Evangelischen Gemeindehaus unter dem Titel „Der Krieg in der Seele“. Traumatherapeutin Dr. Tina Schröder aus Bielefeld, die viele deutsche und britische Soldaten behandelt hat, referierte mit Fallbeispielen und unter Bezugnahme auf die Bundeswehreinsätze über PTBS (Posttraumatische Belastungsstörung) sowie die persönlichen und gesellschaftlichen Konsequenzen dieser Erkrankung.
Eine Traumatisierung (erlebte schwere körperliche Verletzung, tatsächlicher oder möglicher Tod oder Bedrohung  der  physischen  Integrität  der  eigenen Dr. Helga Weidemann vom Idsteiner Friedensbündnis und die   Traumatherapeutin Dr. Tina Schröder
Person oder anderer Personen und die subjektive Reaktion mit intensiver Furcht, Hilflosigkeit oder Entsetzen) und Symptome wie belastendes Wiedererleben des Geschehenen im wachen und/oder schlafenden Zustand, allgemein erhöhtes Erregungsniveau und die Vermeidung von Situationen, Handlungen und Dingen, die an das Geschehene erinnern, seien die diagnostischen Kriterien für PTBS, führte Schröder aus.

Emotionale Taubheit

 Darüber hinaus litten viele PTBS-Betroffene unter sogenannter „emotionaler Taubheit“, starken Schuld-, Scham- beziehungsweise Ekelgefühlen, Schlafstörungen und Depressionen und so weiter; auch „Substanzmissbrauch“ (Alkohol) sei eine häufige Begleiterscheinung. Allerdings träten diese letzteren Symptome auch im Rahmen anderer seelischer Störungen nach militärischen Einsätzen auf, unabhängig davon, ob es sich um „friedenserhaltene“ oder sonstige Maßnahmen handelt. In der Folge sei nach Rückkehr aus dem Einsatz die Zukunftsperspektive der Erkrankten verkürzt und der „Rahmen verschoben“, das heißt, sie hätten eine veränderte Haltung zu ihrem eigenen Leben entwickelt und „passten“ nicht mehr in ihre gewohnte Umgebung: Sie kommen mit ihrem Leben nicht mehr zurecht. Damit ziehe diese Erkrankung in ihrem Umfeld weite Kreise: „Betroffen“ seien nicht nur die Erkrankten, sondern auch ihre Familien, Kameraden, Bekannten und Freunde - und damit könne die Gesellschaft insgesamt ihre Distanz zu den Vorgängen nicht aufrecht erhalten.Die Persönlichkeit des Erkrankten spiele als Risikofaktor keine Rolle; vielmehr komme es unter anderem auf das Alter bei Auftreten der Traumatisierung, deren Art und bereits Erlittenes (etwa in der Kindheit), das Geschlecht und vor allem die Häufigkeit der Erlebnisse an, erläuterte die Referentin; psychische Belastung über ein bestimmtes Maß hinaus sei nicht verkraftbar.
Bei den Militärs seien zusätzlich rollenabhängig besonders starke Exposition, das Gefühl von Schwäche, des Versagens und so weiter, fehlende öffentliche Unterstützung, Stigmatisierung psychischer Störungen und befürchtete Konsequenzen für die berufliche Laufbahn von Bedeutung, sodass es - auch in der Eigenwahrnehmung - zu Symptomminimierung komme. Es entstehe Angst vor der Wahrnehmung und dem Ausdruck von Emotionen. Das könne wiederum zu Selbsthass bis hin zu aggressiven Ausschreitungen gegen die eigene Person sowie gegen andere führen, erläuterte sie anhand eines eindringlichen Fallbeispiels.


Prävention

In einer Statistik mit Zahlen der Bundeswehr zeigte die Referentin die stetige Zunahme der Neuerkrankungen auf. PTBS sei untrennbar mit Kriegen verbunden; erste medizinische Aufzeichnungen stammten bereits aus der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg. Infolge hoher Dunkelziffer und eines Zeitraums von etwa fünf bis sieben Jahren, die in der Regel bis zur Meldung der Erkrankung vergehen, werde sich das ganze Ausmaß der Folgen beispielsweise des Afghanistan-Einsatzes erst noch zeigen, so Schröder.

Auf die Frage nach Präventionsmöglichkeiten in der anschließenden Diskussion antwortete Schröder, trotz der derzeit entwickelten Konzepte beispielsweise in Form von Lotsen und Beratern in der Bundeswehr sei echte Prävention nicht möglich. Wichtig seien Information und Selbstbeobachtung sowie das individuelle Engagement des jeweiligen Vorgesetzten, Betroffene im Rahmen des Möglichen notfalls „nach Hause zu schicken“. Wirklich verhindern lasse sich die Krankheit allerdings nur durch Frieden: Es müssen dringend politische Alternativen zu militärischen Einsätzen gefunden werden, lautete das Fazit des Abends.